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Brigitte Zypries - Bundestagsabgeordnete für Darmstadt-Dieburg

Frank- Walter Steinmeiers Bilanz des ersten Halbjahres

Bundespolitik


© DW/K. Danetzki (CC BY-NC 2.0)

In einem Brief an die Mitglieder der SPD bilanziert Frank-Walter Steinmeier das erste Halbjahr der neuen Bundesregierung: "Und wenn ich sage, es war „intensiv“, dann untertreibe ich. Zu Beginn meiner zweiten Amtszeit als Außenminister habe ich – bewusst ein bisschen provokant – gesagt, in der deutschen Öffentlichkeit sei zu wenig Platz für Außenpolitik. Als wirtschaftlich starkes und weltweit vernetztes Land können wir uns das nicht leisten.
Heute kann davon keine Rede mehr sein. Außenpolitik flimmert jeden Tag auf deutschen Bildschirmen. Bitter ist nur, dass es fast immer dramatische und verstörende Bilder sind, die von den Krisenschauplätzen auf unsere Wohnzimmer einstürmen: der seit über drei Jahren andauernde, brutale Bürgerkrieg in Syrien, und die Flüchtlingsnot in seinem Gefolge. Die wieder aufflammende Gewalt im Irak und die Gefahr eines ordnungslosen Raumes an der Grenze zu Syrien, einer Brutzelle für den Terror. Und natürlich die erschütternden Auseinandersetzungen zwischen

Israelis und Palästinensern. Gaza braucht sofort eine Waffenruhe – das habe ich beiden Seiten auf meiner Reise vor wenigen Wochen gesagt. Denn nur dann kommen wir langsam weg von einer militärischen, hin zu einer politischen Logik, die sich den Lebensbedingungen der Palästinenser und dem Sicherheitsbedürfnis der Israelis widmet. Beide Ansprüche sind in einer Zwei-Staaten-Lösung vereinbar – davon bin ich überzeugt.
Neben diesen Brandherden hat die deutsche Außenpolitik im vergangenen Halbjahr vor allem die Ukraine-Krise beschäftigt. Wir haben gemeinsam mit unseren europäischen Partnern Verantwortung übernommen in diesem – in vielerlei Hinsicht – bedrohlichen Konflikt an den Ostgrenzen unserer Union. Und spätestens seit dem schrecklichen Abschuss der MH17 spüren wir, dass nicht nur Europa, sondern die ganze Welt von dieser unheilvollen Krise betroffen ist.
Die deutsche Außenpolitik hat vom ersten Tag an eine klare Linie verfolgt. Wir verfolgen sie bis heute. Sie ist gekennzeichnet von zwei Prinzipien:

Erstens, es steht in dieser Krise nicht weniger auf dem Spiel als Europas Friedensordnung. Diese Ordnung hat unser Kontinent nach Jahrhunderten von Kriegen und Konflikten mühsam erarbeitet. Ausgerechnet hundert Jahre nach Beginn des ersten Weltkrieges, der „Urkatastrophe“ Europas, stellt Russland diese Friedensordnung durch die völkerrechtswidrige Annexion der Krim und sein aggressives Verhalten in der Ostukraine sehr bewusst infrage. Unsere Botschaft an Russland ist unmissverständlich: Europa steht zum Völkerrecht und Europa wird seine Friedensordnung verteidigen. Das ist das übergreifende Prinzip.

Das zweite, unmittelbare Prinzip ist es, den Konfliktherd zu entspannen und Blutvergießen abzuwenden. Nur wenn die Gewalt endet und ein Mindestmaß an Ordnung einkehrt, wird es möglich, dass die Menschen in der Ukraine endlich wieder selbst über ihre Zukunft bestimmen. Einen wichtigen Etappenerfolg gab es: freie Präsidentschaftswahlen am 25. Mai, mit großer Beteiligung und einem klaren demokratischen Mandat an Petro Poroschenko.
Für unsere beiden Prinzipien nutzen wir den ganzen Instrumentenkasten der Diplomatie. Dazu gehören in erster Linie Dialog, Vermittlung, Lösungsangebote, und – wo nötig – auch Druckmittel.
Mir ist es wichtig, diese Instrumente zusammen, und den Konflikt vom Ende her zu denken. Sanktionen sind kein Selbstzweck. Wer vorschnell vermeintlich harte Linien vorgibt, der bindet nicht in erster Linie das Gegenüber, sondern sich selbst.
Deswegen war der Weg der europäischen Sanktionen gegenüber Russland von vornherein ein Weg in Stufen. Wir wollen keine Diplomatie, die im Autopilot in die Eskalation steuert, sondern im Gegenteil: die immer wieder Auswege aus der Eskalationsspirale aufzeigt.

Solche Auswege haben wir mehrfach konkret eingeschlagen – mit dem Weimarer Dreieck in Kiew am 20. Februar, mit dem Genfer Treffen, mit der OSZE-Beobachtermission, und mit der Berliner Erklärung vom 2. Juli und dem Vorschlag einer gemeinsamen Grenzkontrolle.

Wenn wir jetzt in die nächste Stufe der Sanktionen treten, setzen wir diesen Weg fort. Dass dafür mehr Druck notwendig wird, muss Russland allein sich selbst zuschreiben. Wir arbeiten weiterhin an Auswegen und erwarten, dass Russland endlich auf den Weg der Verantwortung zurückkehrt.

Wer Verhandlungen und Druckmittel zu Gegensätzen erklärt und wer daraus eine „starke“ und „schwache“ Außenpolitik konstruiert, der versteht nicht den Instrumentenkasten der Diplomatie. Seine Instrumente ergänzen sich. Nicht „Stärke“ oder „Schwäche“ ist die entscheidende  Kategorie der Außenpolitik, sondern Klugheit.

Inmitten dieser Krise und allen anderen Krisen, ist im letzten Halbjahr auch viel Gutes auf der Welt geschehen. Ganz besonders in Brasilien! Der Traum vom vierten Stern ist wahr geworden! Und noch etwas an dieser WM hat mich begeistert: Da sind sich Teams und Fans aus der ganzen Welt begegnet, haben auf dem Spielfeld fair miteinander gerungen und anschließend auf der Copacabana gemeinsam gefeiert.
Der Kontrast zur wahren Welt kann einen betroffen machen. So als hätten wir durch die WM einen Monat lang in eine bessere, friedlichere Welt geschaut, die in der Wirklichkeit nicht anzukommen scheint.
Woran liegt das? Man könnte es so sehen: Im Fußball gibt es klare Regeln, und Schiedsrichter, die sie durchsetzen. In der Außenpolitik gibt es sie nicht. In ihren Konflikten gibt es kein Schwarz und Weiß. (Oder sollte ich sagen: Gelb und Rot?)
Doch auch wenn es kein Schwarz und Weiß gibt, so enthebt uns das nicht von Verantwortung. Im Gegenteil! Wo es auf der Welt noch keine Regeln gibt – so wie es sie im Fußball gibt –, so sollte uns das Ansporn sein, sie mehr und mehr zu schaffen! Mehr Völkerrecht, mehr internationale Institutionen, mehr gemeinsame Standards, vom Klimaschutz bis zur Digitalisierung: in all dem sehe ich eine echte Stärke Deutschlands – genau wie im Fußball.
Mitzuhelfen beim Bau einer gerechteren, regelbasierten Weltordnung: das ist ein Kernanliegen deutscher Außenpolitik, das über die akuten Konflikte hinausweist. Und seit uns Willy Brandt in seinen späten Tagen die globale Gerechtigkeit ins Stammbuch schrieb, gehört sie ganz besonders zu den Anliegen sozialdemokratischer Außenpolitik."

Foto: Deutsche Welle/ K. Danetzki (CC BY-NC 2.0)

 
 


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